Kerstin Fuchs beim Boston Marathon

  08.05.2023

Ein Wunsch ging für mich in Erfüllung – Teilnahme am John Hancock Boston Marathon der BAA

2002 äußerte ich den Wunsch, dass ich einen Marathon laufen möchte; „ob ich das wohl schaffen kann?“ „Kauf dir ein T-Shirt und gib Ruh“, so fing meine Marathon-Geschichte an. Ich lauf schon seit der Realschulzeit, war nie auf Wettkämpfen, lief immer nur für mich. Ein Marathon-Shirt kaufen ohne dafür etwas getan zu haben - für mich keine Option. Weitere Jahre vergingen. 14, um es genau zu sagen. Meinen ersten Marathon finishte ich somit 2016 in Chicago. Weitere folgten. Schon damals war eine Bekannte aus den USA völlig aus dem Häuschen; erster Marathon und schon die Qualifikation für Boston erlaufen. Quali… was?! und wer ist Boston? Ich begann zu recherchieren.

Der Boston Marathon ist nach Olympia die älteste Marathon-Veranstaltung der Welt. Seit nun 128 Jahren findet der Lauf statt. Nur einmal, während des 1. Weltkrieges wurde er abgesagt. Als erste Frau überhaupt debütierte hier Kathrine Switzer; vor 50 Jahren ein Eklat. Mit Entsetzten verfolgten 2013 Sportfreunde weltweit das feige Bombenattentat ca.100 Meter vor dem Zieleinlauf. Der Veranstaltung tat dies keinen Abbruch; seit dem steigen die Teilnehmerzahlen kontinuierlich. Vor der Pandemie waren es 36.500 Startplätze.

Inzwischen kenne ich die World Marathon Mayors, weiß um den Mythos des legendären Boston Marathon und seinen Bedingungen. Die Qualifikationszeiten für Männer und Frauen werden je Altersklasse kontinuierlich aktualisiert und den weltweit gelaufenen Zeiten für einen Marathon angepasst. Gibt es für eine Altersklasse zu viele Bewerber werden Cut-off-Zeiten festgesetzt, das heißt, dass die Qualifikationszeit nochmals um z.B. 1:30/2:00 Minuten unterboten werden muss, um für einen der begehrten Startplätze in Frage zu kommen. 2021 gab es pandemiebedingt den härtesten Cut-off.

2018 erreichte ich wieder die Qualifikationszeit, die mir zwei Jahre angerechnet wird und mir die Teilnahme am Boston Marathon ermöglichen kann. Tatsächlich bekam ich einen Startplatz, nur bekam die Welt Corona und damit ist allen klar, dass ich nicht zum Marathon nach Boston flog. Obwohl ich 2021 noch einmal hätte starten dürfen (Ausnahmeregelung Corona) und sogar die extreme Cut-off-Zeit (7:47 Minuten) locker unterboten hatte, ließen die USA keine Sportler aus dem Schengener Abkommen einreisen.

Aufstehen, Schuhe binden, Weiterlaufen. Im April 2022 zeigte ich in der Hansestadt Hamburg wieder was in mir steckt und erlief erneut die geforderte Zeit in meiner Altersklasse. 2023 sollte es dann wirklich wahr werden – mein Traum von Boston. Ich war fit, ich war gut drauf, die Trainingsstrecken hier rund um den TSV Lichtenwald sind top, ich bekam eine Virusinfektion – vier verdammte Wochen vor dem Lauf und diesmal kam ich nicht so gut davon wie im Jahr zuvor.

Ich besprach mich mit Freunden (die ärztliche Haltung war ja eindeutig), ich grübelte und wog ab. Am Freitag vor dem Lauf flog ich nach Boston, Hauptstadt des US Bundesstaates Massachusetts, eine der ältesten Städte der USA, ca. 675.000 Einwohner (Zentrum), 4,95 Millionen insgesamt, bekannt auch durch die Boston Tea Party von 1773.

Strahlender Sonnenschein und Temperaturen um die 20 °C empfingen mich. Die Anbindung des Flughafens an die Stadt mit der kostenfreien Silverline (Buslinie) ist klasse. Nach dem Einchecken ins Hotel bin ich sofort zum John B. Hynes Convention Center um die Startunterlagen abzuholen und einen ersten Gang über die Marathon Expo zu machen. Unkompliziert, einfach, sympathisch. Perfekt. Anschließend über den Copley Square den frühen Abend bei Livemusik, Straßenverkauf und Aktionen zum Thema Boston Marathon ausklingen lassen. Was für eine Stimmung.

Am Samstag war ich wieder da. Das Wetter und die Atmosphäre waren einfach zu gut. Die Geschäfte der Newbury Street (eine der Einkaufsstraßen) beteiligten sich mit verschiedenen Aktionen. Tische und Stühle vor die Geschäfte, spezielle Läuferangebote und einfach genießen. Man stelle sich das auf der Königs- und Theodor Heuss Straße in Stuttgart vor. Wobei ich die beiden Städte nicht vergleichen kann und darf. Obwohl höhere Einwohnerzahlen ist Boston sehr ruhig und beschaulich. Einkaufszentren sind rar, kleine Häuschen mit entsprechenden Einzelhändlern und Restaurants wie ich sie eher aus Emden und Leer kenne, sind hier Standard. Ich verweile unter zig Läufern bis zum späten Nachmittag. Dann wird´s echt frisch.

Auch am Sonntag verzichte ich auf eine Laufeinheit. Der Virusinfekt sitzt mir doch im Nacken und sorgt immer wieder für ein mulmiges Gefühl. Gegen Mittag gehe ich ins Zentrum und folge dem Freedom Trail. Hier handelt es sich um eine ca. 4 km lange Besichtigungsroute durch die Stadt, die sechszehn historische Sehenswürdigkeiten verbindet. Der Weg ist mit einer durchzogenen roten Linie auf dem Boden markiert. Gut gemacht und echt interessant. Zurück im Hotel beginnt das übliche Programm. Klamotten und Proviant herrichten, Startnummer auf keinen Fall vergessen, Wetterbericht prüfen – Prognose: bedeckt aber trocken 12/14 °C – optimal.

Montag, St. Patricks Day, Marathon Tag. Mein Tag beginnt um 6 Uhr mit einem Blick aus dem Fenster. Nebel. Nach dem Frühstück werfe ich nochmal einen Blick auf den Wetterbericht (Bedeckt, Trocken 10/12 °C), starte um 7 Uhr und fahre mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Haltestelle Arlington. Von hier aus geht es zur Abgabe der Kleidertaschen, die sich im Bereich St. James Ave/Berkeley St befindet. Dann einfach der Masse durch den Public Garden folgen. Hier warten die typischen gelben klobigen Schulbusse für den einstündigen Transport zur Startlinie in Hopkinton. Allein das ist schon Gänsehautfeeling. 30 Schulbusse fahren vor, Läufer steigen ein, sobald alle Sitzplätze belegt sind erfolgt nach einem Pfiff die donnernde Fahrt durch Boston. Stellt euch die Geräuschkulisse unter den dröhnenden Motoren vor. Gleichzeitig fahren die nächsten dreißig Busse ein. Der Wahnsinn. Der Konvoi macht sich auf den Weg. Die linke Spur ist für ihn reserviert. Hier ein Tipp: Die Busse entsprechen nicht unserem technischen Standard. Es ist eiskalt und zugig darin. Unbedingt zwei schützende Folien für die Beine und den Oberkörper mitnehmen.

In Hopkinton angekommen ist für die Verpflegung bestens gesorgt. Es gibt Wasser, Obst und Bagels, große Zelte schützen vor den Wettereinflüssen. Die Warteschlangen vor den Sanitären Anlagen sind phänomenal kurz. Vor mir stehen ca. 10 Personen vor je vier Dixis. Das hatte ich noch nie. Inzwischen ist es zehn Uhr – Zeit für ….Regen. Ich fasse es nicht. So sehr hatte ich gehofft, dass die Wetterprognose stimmt. Auch wenn ich weiß, dass Boston ein traditioneller Regenlauf ist. Ich bereite mich vor. Die Startwelle ist in 9 Blöcke eingeteilt. Dann geht es los.

Meine Strategie lautet: Bringe dich selbst und die Medaille sicher nach Hause. Halte dich zurück. Du musst nichts beweisen, langsam und konstant, gehe die Steigungen, riskiere nichts. Auf den ersten 10 km bin ich eher damit beschäftigt mich selbst zu beobachten. Es läuft gut. Die Strecke ist auf dem ersten 21 km leicht abschüssig, wenn auch in Wellen. Es ist faszinierend die Läufermasse auf hunderten von Metern vor sich zu sehen. Die Verpflegungsstationen erfolgen in kurzen Abständen beidseitig der Straße. Der Boston Marathon zählt zu den anspruchsvollen Läufen. Aufgrund des welligen Profils wird auf Pacemaker verzichtet. Jeder muss sein eigenes Tempo laufen. Dabei erweist sich die Wellen- und Gruppeneinteilung als eine große und durchaus angenehme Hilfe. Alle Läuferinnen und Läufer sind im ähnlichen Tempo unterwegs. Es gibt kein Drängeln, Schupsen, Treten. „Neulinge“ ohne bestätigte Marathonzeit starten ausschließlich im letzten Block; auch die gekauften Tickets.

Wie auf Knopfdruck ergießt sich der Regen für mich bei Kilometer 21. Der Wind nimmt zu und es ist einfach nur kalt. Bei etwa Kilometer 26 kommt der erste Buckel der Heartbreaking Hills, bei Kilometer 29 hat man den nächsten Hügel und bei Kilometer 34 ist man sprichwörtlich über dem Berg. Ähnlich der „Kotzlinie“ beim Trollinger Halbmarathon weist ein großes Banner über der Straße darauf hin. Jetzt wird`s leichter - sagt man.

Ich kann mich nicht in Einzelheiten an den Lauf erinnern. Das erging mir schon bei anderen Laufveranstaltungen so. Nach 5 bis 7 Kilometern bin ich wie in einem Tunnel und nehme alles gefiltert wahr, halte erst an, wenn man mir im Ziel eine Flasche Wasser in die Hand drückt. Den Marathon in Boston würde ich als eine Art Landschaftslauf bezeichnen. Keine Tour durch Häuserschluchten, Bürokomplexen oder entlang riesiger Shoppingmeilen. Es gibt viele Bäume. Große Bäume, kleine Bäume, dicke und dünne, viele oder wenige. Zwischendurch Ortschaften mit den typischen Häusern, Kirchen und begeisterten Menschen, die den Boston Marathon zu einem einzigen Fest werden lassen. Es gibt Musik, Applaus, witzige Schilder (mit der S-Bahn bist du schneller in Boston), verführerische Düfte aus Küchen und vom Grill. Ca. 6 km vor dem Ziel merkt man erst wieder das es in die Stadt geht. Eine Straßenbahn eskortiert die Laufstrecke, die Häuser werden größer, die blaue Line zeichnet wieder den Asphalt und es werden noch mehr Zuschauer. Wobei: Auf der ganzen Strecke von Hopkinton bis Boston stehen die begeisterten Menschen an der Straße.

Höhenprofil und Strecke des Boston Marathon https://youtu.be/TEoWRSIZB4Q

Ausschnitt aus dem Lauf 2023 https://www.youtube.com/live/WdPYG5D1r6Y?feature=share

Zusammenschnitt https://www.instagram.com/reel/CrLjA2QON--/?igshid=MDJmNzVkMjY

Anhand der Streckenkarte wusste ich, dass der Marathon immer der Landstraße folgt. Vergleichbar mit unseren Bundesstraßen. Etwa 1,5 km vor der Ziellinie muss man eine Rechts-links-Kombination laufen und damit war mir klar, es ist nicht mehr weit - es ist geschafft. Ich habe den 127. Boston Marathon 2023 geschafft.

An der Party „Mile 27“ im Fenway Park (Baseball Stadion) habe ich nicht teilgenommen. Ich war einfach nur durchgefroren und wollte meine nassen Klamotten gegen eine warme Dusche tauschen. Ich bin mir sicher, dass es eine großartige Party mit tollem Programm gab.

Vielleicht beim nächsten Mal.

erstellt von Kerstin Fuchs

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