TorTour de Ruhr (TTdR) – ein 230km weiter Nonstop-Lauf

  05.06.2022
Der Laufbericht von Kalle

Mit 230 Kilometern zählt die TorTour de Ruhr (TTdR) zu den längsten Nonstop-Ultradistanz Läufen in Deutschland. Die Ruhr verbindet, von der Quelle bei Winterberg bis zur Mündung in den Rhein, das Hochsauerland mit den Metropolen Bochum, Essen, Oberhausen und Duisburg. Die Strecke führte einmal quer durch das Ruhrgebiet. Als weitere Wettbewerbe stehen noch 100 Meilen (160 km) und ein 100 km Lauf im Programm. Jeder Wettbewerb ist dabei auf max. 100 Teilnehmer imitiert. Die TTdR wird in zweijährigem Rhythmus organisiert und ist als Selbstversorgungslauf ausgeschrieben. Das bedeutet, dass jeder Starter für seine Bedarfe während des Laufes selbst verantwortlich ist und seine Versorgung zu organisieren hat. Offizielle Verpflegungspunkte waren im Durchschnitt nur alle 30 km eingerichtet. Aus diesem Grund ist eine Crew als Begleitung vorgeschrieben. 
Neben mir hatte sich diesmal auch Uli Maier vom LIWA-LaufTreff angemeldet. Er wollte sich erstmal überhaupt über die 100 Meilen (161 km) versuchen. Sein Erfahrungsbericht folgt seprat.

Neben der physischen Vorbereitung wurden im Vorfeld auch zahlreiche Listen für die Ausrüstung, Ernährung und evtl. Hilfsmaßnahmen erstellt, das 150 Seiten umfassende Roadbook studiert und mögliche Treffpunkte auf der Strecke definiert. Doch im Verlauf eines so langen Rennen ändern sich schnell auch mal etwas und es ist höchste Flexibilität gefragt. 
In der Ausschreibung steht folgender Satz: Deine Crew bringt dich da durch! Meine Crew bestand aus Andrea Maier, Kirsten & Daniel Guggenmos, die mich bereits durch andere Wettbewerbe begleitet hatten und daher auf eine gewisse Erfahrung bauen konnten. Kirsten & Dani sollten sich als Rad-Begleiter abwechseln, während Andrea mit dem Auto zu den vereinbarten Punkten navigierte und die Versorgung vorbereitete.

Meine Herausforderung bestand darin, am Pfingstsamstag in der Früh um 08:00 Uhr direkt an der Ruhr Quelle in Winterberg zu starten und bis Sonntagabend um 22:00 Uhr das Rheinorange, eine Skulptur an der Mündung der Ruhr in den Rhein bei Duisburg zu erreichen. 230 Kilometer - nonstop - am Stück. Das Zeitlimit für diese Distanz betrug 38 Stunden. Der Name TorTour de Ruhr war also Programm.
Ich selbst hatte nur eine Woche zuvor noch beim 115 km langen und mit 3.500 Höhenmetern gespickten Alb-Traum100, einem Ultra-Trailrun über den kompletten Albtraufgänger in Geislingen, erfolgreich teilgenommen. Ob das eine optimale Vorbereitung auf die TTdR war? 

Der Start des TTdR erfolgte am Pfingstsamstag um 8:00 Uhr direkt an der Ruhrquelle. Es herrschten noch sehr angenehme Bedingungen.
Weil ich kurz vor dem Start noch etwas an der Ausrüstung korrigieren musste,  ging ich als letzter Läufer auf die Strecke. Das war auch ganz gut so, denn so traf ich nach und nach auf einige Bekannte und konnte nebenher ein paar interessante Schwätzchen halten. Kurz vor dem ersten Verpflegungspunkt bei km 27 schloss ich auf die Spitzengruppe auf. Im Tagesverlauf stiegen die Temperaturen auf über 25 Grad und es herrschte ein drückende Wärme, die den Läufern ganz schön zusetzte. Mit meiner Crew hatte ich vereinbart, dass Kirsten erstmals nach ca. 60 km als Radbegleiterin mit auf die Strecke ging. Bis dorthin hatten wir zwei kurze Treffpunkte zwischen den offiziellen VP´s vereinbart, um den Zustand zu kontrollieren. Der Weg neben der Ruhr bot trotz allem Grün nur wenige schattige Abschnitte. Ewig lange Geraden an Ufer- oder auch Bahnabschnitten entlang sorgten für wenig Abwechslung. Trinken-Trinken-Trinken war das Gebot. Zwischendurch lag ich sogar mal in Führung. Im Besonderen der Empfang als erster Läufer am VP bei km 81 in Arnsberg hatte schon was. Dort traf ich auch kurz auf meinen Team Kammeraden Uli, der auf den Start der 100 Meilen wartete. Nach genau 12 Stunden Laufzeit erreichte ich den VP bei km 115 mitten in einem Bauernhof. Die Hälfte der Strecke war noch vor Einbruch der Dunkelheit geschafft.

Kurz darauf fiel ich plötzlich in ein Leistungstief. Die immer noch andauernden Wärme und wohl auch die Vorbelastungen forderten ihren Tribut. Unerwartet früh fing sich der Körper an zu wehren noch irgendetwas an Nahrung aufzunehmen. Müdigkeit setzte ein und immer längere Gehphasen waren die Folge. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit übernahm Dani den Radsupport. Wir beschlossen die Abstände der Treffpunkte mit dem Begleitfahrzeug deutlich zu verkürzen um im Bedarfsfall schneller supporten zu können. Das körperliche Tief hielt an. Die Crew war gefordert. Es wurden alle möglichen Maßnahmen eingeleitet um mir irgendwie das Weiterlaufen zu ermöglichen. Ich wollte ja auch, aber es fehlte einfach die Energie.  Nach und nach zogen andere Läufer in einer für mich kaum vorstellbaren Leichtigkeit vorbei. Frust? Demotivation? Nicht bei mir! Die Lust und die Entschlossenheit das Ziel trotz der körperlichen Ermüdung zu erreichen ist bei mir extrem ausgebildet. Aufgeben war zu keinem Zeitpunkt eine Option, dafür war das verbleibende Zeitbudget noch viel zu groß. Ich war ja nicht verletzt oder so, nur eben irgendwie platt. Dann musste es eben im Notprogramm weitergehen.
Der Morgengrauen und das zunehmenden Erwachen der Natur setzte bei mir wieder ein paar Energien frei. Doch mangelndes Essen blieb weiterhin ein Problem. Es ging einfach nichts hinein. Gelegentlich mal ein, zwei Oliven (Salz) und eine kleine Schnitte Melone (Zucker) und weiter ging es. Nach 24 Stunden hatte ich fast 190 km auf der Uhr. Jetzt war es  „nur noch ein Marathon“.  Schon kleinste Anstiege zwangen mich dazu Gehpausen einzulegen. Direkt danach den erneuten Tritt aufzunehmen fiel immer schwerer.  Dani, der die komplette Nacht hindurch neben mir im Sattel saß, übergab das Fahrrad jetzt wieder an Kirsten. Immerhin konnte ich auf ebenen Abschnitten zeitweise wieder eine gleichmäßige Geschwindigkeit laufen. Am letzten offiziellen VP bei km 205 versuchte ich mich sogar an etwas Schokolade und frische Erdbeeren. Und plötzlich fing die Maschine wieder zu laufen. Es gelang mir sogar einige Konkurrenten wieder einzuholen. Auf den letzten 15 km setzte dann auch noch strömender Regen ein. Doof für die Begleiter, aber irgendwie erfrischend gut für mich. Die letzten Kilometer waren dann leider von Umleitungen durch Duisburgs Industriegebiete und mit jeder Menge Ampelstopps geprägt. Schade zwar, aber egal, das Ding wollte jetzt endlich zu Ende gebracht werden.  
Am Ende klatsche  ich nach 29:34:14 Stunden als Fünfter der Gesamtwertung am Ziel die Rheinorange ab. Doch dieser Erfolg wäre ohne die ebenfalls hoch motivierte und top eingespielte Crew mit Andrea, Kirsten und Dani nicht möglich gewesen. Meine Crew hat mich durch diesen Lauf gebracht! Wir haben gemeinsam geschwitzt, gelitten gekämpft und gefinisht. Eine absolut tolle Teamleistung!

Der Gesamtsieger benötige 26:23:11 Std. Nur 6 Läufer erreichten das Ziel unter 30 Stunden. Die Ausfallquote lag bei fast 50 %, was die extreme Herausforderung auch an gut trainierte und sehr erfahrene Ultra-Distanz-Athleten unterstreicht.

erstellt von Kalle

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